Métamorphose 2013
Ich ist ein Anderer.
In ihrer Arbeit métamorphose, die aus vier großformatigen Fotografien ihres Körpers, die sie mit einer automatisch auslösenden Kamera aufgenommen hat, und drei Texttafeln besteht, thematisiert Ivana Gillé die Brüchigkeit der Identitätskonstruktion. Die Darstellung erinnert an Schautafeln von Schweinen und Rindern, wie sie in Metzgereien hängen. Eine Assoziation, die durch den weiß gefliesten Hintergrund im ersten Teil der Arbeit verstärkt wird.
Der Körper als Repräsentant des ICH ist zerstückelt in einzeln nummerierte Teile, die auf einer Texttafel mit exakten Begriffen der einzelnen Fleischstücke benannt werden, die ihre Entsprechung auf einer anderen Tafel mit der Auflistung von Gerichten finden, die aus diesen Stücken zubereitet werden. Diese Gerichte ordnet Gillé den Anderen zu, die sie als Vater, Schwiegermutter, Ehemann, Kinder, Freunde oder Kollegen benennt. Das ICH, das sich durch die Identifikation mit dem Begehren der Anderen, mit ihren Erwartungen und Projektionen konstituiert, zerfällt und ist nur zu bereit, sich im so sein wollen aufzulösen, sich verzehren zu lassen.
„ICH ist ein Anderer“ hat der französische Dichter Arthur Rimbaud 1871 in einem Brief an einen Freund geschrieben. Die Voraussetzung dafür, dass dieses Andere, das eigentliche SELBST, sich gegenüber dem entfremdeten ICH behaupten kann ist der Tabubruch, die Revolte, die Befreiung und die radikale Ablehnung einer konformistischen Moral.
Die Metamorphose vollzieht sich im Übergang zum zweiten Teil von Gillé’s Arbeit. Zwei Fotographien Ihres Körpers, wieder eine Frontal- und eine Rückenansicht reduziert und akzentuiert durch einen schwarzen Hintergrund, dazwischen eine Texttafel. Die Begriffe auf dieser Tafel wie Zärtlichkeit, Stolz, Sexualität, Freiheit oder Verantwortung sind Ausdruck eines selbstbewussten eigenen Begehrens, das sie dem Begehren der Anderen entgegenstellt. Das durch Identifikation zerstückelte, entfremdete ICH verwandelt sich so zu einem souveränen SELBST und wird zur Identität.
Der Körper ist Ursprung und Träger einer Revolte, die sich der normierenden, anpassenden, unterwerfenden Ordnung widersetzt. Indem Gillé in der Darstellung ihres Körpers auf jede Pose und Geste verzichtet, widersetzt sie sich der Ordnung der ästhetisierenden Aktfotografie genauso wie der Ordnung der Verführung. Die selbstbestimmte, machtvolle und stolze Nacktheit in Gillé’s Werk hindert den Betrachter daran, die Rolle des Voyeurs einzunehmen und sich der Konfrontation zu entziehen. Nicht zuletzt hierin liegt die subversive Kraft dieser Arbeit.